Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält in diesem Jahr die höchste hessische Auszeichnung, die Wilhelm-Leuschner-Medaille, die vor 50 Jahren vom damaligen Ministerpräsidenten Georg-August-Zinn im Gedenken an den Widerstandskämpfer Leuschner gestiftet wurde. Frau Merkel wird also im Jubiläumsjahr ausgezeichnet werden und man darf die nüchterne Frage stellen, warum?
Über die Verleihung entscheidet einzig und allein der Hessische Ministerpräsident. Volker Bouffier übt jedoch nicht nur dieses Amt aus, sondern ist zugleich stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, während die Preisträgerin nicht nur Kanzlerin, sondern auch CDU-Bundesvorsitzende ist. Es fehlt in der Hessischen Staatskanzlei offensichtlich an Fingerspitzengefühl, darin ein Problem zu sehen.
Die Leuschner-Medaille haben viele ehemalige Politikerinnen und Politiker erhalten. Mithin Personen, deren Lebensleistung mit etwas Abstand zur aktiven Tätigkeit bewertet werden konnte. Dieser zeitliche Abstand zum politischen Tagesgeschäft sorgte immer für eine gewisse Überparteilichkeit der Auszeichnung und für gewisse Objektivität in der Bewertung. Bundeskanzlerin Merkel ist im Amt und gedenkt wohl auch, im Amt zu bleiben. Mit ihrer Wahl wird damit die Verleihung der Leuschner-Medaille erstmals ins Zwielicht parteipolitischer Überlegungen gezogen.
Das verantwortet allein Ministerpräsident Bouffier und wird dem Ansehen der Leuschner-Medaille nicht gerecht.
Die Leuschner-Medaille hat ihren Ursprung in dem Gedanken, Frauen und Männer zu ehren, die sich dem Erbe des Widerstands gegen die Nazi-Diktatur verpflichtet fühlten. Diese Grundidee ist im Laufe der Jahrzehnte zunehmend verblasst. Aber nie soweit, dass allein die aktive Ausübung eines politischen Amtes die Auszeichnung rechtfertigt. In diesem Jahr soll aber genau das passieren. Die Kanzlerin erhält die Medaille, weil sie die Kanzlerin ist. Mehr Begründung braucht der Ministerpräsident nicht, auch wenn er pro forma von Verdiensten um die Deutsche Einheit spricht.
Zugrunde liegt dem Vorgang ein Staatsverständnis, dem in Hinblick auf die Trennung von Staat und Partei die Maßstäbe abhanden gekommen sind. Die CDU sieht sich in Hessen als die Staatspartei und im Bund auch. Der Vorgang passt ins Bild einer CDU, die reihenweise ihre Parteifreunde in den Ministerbüros mit Ausnahmegenehmigungen befördert und die vom Steuerzahler finanzierten Landesvertretungen in Berlin und Brüssel als parteipolitische Bühne missbraucht.
Und es deutet sich ja schon an, dass auch das traditionell überparteilich wahrgenommene Amt des Bundesratspräsidenten nach dem turnusgemäßen Wechsel nach Hessen den hessischen Ministerpräsidenten besonders schmücken soll. Die Feiern zum 25-jährigen Bestehen der deutschen Einheit sollten doch ein Freudenfest werden, keine eitle Selbstbespiegelung politischer Akteure, auch nicht des Bundesratspräsidenten. Aber schon der Auftakt zum Jubiläumsjahr, den die Verleihung der Leuschner-Medaille darstellt, zeigt: Es geht nicht ums Land, es geht in Wahrheit auch nicht um Frau Merkel, es geht um Volker Bouffier, der sich im Lichte geliehener Prominenz sonnen will.